Aktuell
„Die wilden Jahre und wir“
„Pop, Protest und Politik“ lautet der Untertitel eines Büchleins, das vor nicht allzu langer Zeit erschienen ist und deren „autorengruppe 68“ in der Gundelfingerin Annette Preuß eine Mit-Autorin hat. Das Werk sammelt Erinnerungen an jenes wilde, aufrührerische, aufbegehrende Jahr – und davon, was die Zeitläufte um den Wechsel des Jahrzehnts herum vor allem in seinerzeit jungen Menschen ausgelöst, sie bewegt, geprägt und verändert hat.
Viele sogenannter Sozialisationsfaktoren werden aus sehr persönlicher Sicht geschildert und interpretiert. Ob politische Umbrüche, individuelle Sichtweisen auf Individuum, Gesellschaft und Zukunft, ob Einflüsse aus Mode und Musik, das Infragestellen von Normen und Werten oder der Drang, in die Ferne zu gehen und Fremdes auf sich wirken zu lassen – vielfach durchziehen als Begleiter „Sehnsucht, Trauer, Hoffnung, Kampf, Visionen“ die Schilderungen, wie Sabine Kehrer dies unter Bezug auf ein Lied Mary Hopkins‘ im ersten Beitrag charakterisiert.
Welch unerhörtes Treiben es bedeutete, heimlich „Radio Luxemburg“ (!) zu hören, mit welcher Intensität die erste Mondlandung verfolgt oder wie auf die Nachricht vom Mordanschlag auf Rudi Dutschke in der evangelischen Studentengemeinde Freiburg reagiert wurde – Annette Preuß schreibt darüber anschaulich, lebendig subjektiv, stellenweise in versöhnlich humoriger Diktion (wo es etwa um Schamgefühl in der eigenen Familie geht oder wie es zum Kleidertausch mit einer Tante kam).
Auch die weiteren Texte spiegeln die Betroffenheit und Befindlichkeit der um das Verständnis von Zusammenhängen, Sinngebung und Zukunftsgestaltung Ringenden. Dass die Zeit von Batist, Batik und Blumenmustern geprägt war, bildet punktuell Anlass zu Reflexionen, die sich aus der Erinnerung an modebezogene Äußerlichkeiten entfalten – und in ihrer Weiterführung zu auf Sinn und Orientierung gerichtete Fragen und Gedanken zwar spezifisch jener seinerzeitigen Generation Stimmen geben, damit zugleich aber auch an Zeitloses insofern rühren, als Themen wie diese jeder im Aufbruch befindlichen Generation neu aufgegeben bleiben. (Das Buch erscheint im Verlag Tredition; 12 Euro.) Herbert Geisler